Oracles – Bedroom Eyes

Oracles – Bedroom Eyes

Ein bekannter Celebrity aus England mag sie. Er findet Oracles „shit hot“. Verdammt, ich kann es nicht mehr hören – wen schert das?! Die Oracles sprechen laut genug für sich selbst, und es braucht keinen Junkie von vorgestern um zu merken, wie kochend heiß diese Band ist.

Mit Bedroom Eyes erscheint endlich der erste Longplayer der Gruppe Oracles. Willkommen zu einem Sommertag auf der Hanfplantage. Krautiger und tropischer Pop, psychedelischer Rock und Highlife; wir hören DIIV heraus, Real Estate, frühe Tame Impala und an den besten Stellen Boredoms und ein bisschen Fleetwod Mac.

Lacerate Slowly bildet in aller Ruhe einen intergalaktischen Strudel aus Loops, der uns in die Platte hineinzieht. Bedroom Eyes bietet als Opener keine Single an, es soll sich eben offenkundig um ein echtes „Album“ handeln. Das klappt auch, der Sound bleibt stimmig und die Platte rund. Oracles haben ihr Baby auf einem Bauernhof in Norddeutschland selbst aufgenommen und produziert, sie haben keine Kompromisse gemacht.

Feine und zugleich luxuriöse Arrangements mit einem hedonistischen Gestus sind der rote Faden. Im Zentrum der Bedroom Eyes thront das magische Agartha, das schon vor Jahren beim ersten Gig der Gruppe im Programm war. Die Platte fließt betont lässig in die Ohren. Mit Margaritas im Tretboot (Returning Never) oder auf dem Mopped die Küste entlang (Amphibian Rule). Am liebsten mag ich allerdings die wenigen schiefen Momente, wenn Sängerin oder Sänger mal daneben greifen. Die Oracles werden stärker, je mehr Unberechenbarkeit und Witz (zum Beispiel bei Chardonnay) sie sich gestatten. Als sie vergangenes Jahr auf dem Puls Festival gespielt haben, war der Höhepunkt die ausgedehnte Instrumental-Improvisation zum Schluss.

Irgendwann gegen Mitte des Albums habe ich mich gefragt, ob die Lässigkeit nicht langsam in eine gedämpfte Behäbigkeit umschlägt, ob die Flamingos nicht nach und nach eine gedeckte Farbe annehmen. Wo sind die ausgeflippten Tänze der Debüt-EP? Warum nicht auch mal die Hörer heraus- oder gar überfordern? Die Platte ist eine Sammlung wunderschöner Songs, die das Potenzial für Experimente und psychedelische Ausbrüche meist nur andeuten.

Nun, die Oracles sind zwar friedlich, man könnte auch sagen kommerziell, harmlos sind sie aber nicht. Wenn, dann sprechen wir hier freilich von einer Behäbigkeit auf hohem Niveau, aber keinesfalls von Belanglosigkeit. Da gibt es ganz andere „junge deutsche Indiepop-Bands“ – nehmen wir als abschreckenden Vergleich einmal AnnenMayKantereit. Wo die sich nach einem diffusen Wohlfühlen sehnen, zu sich selbst finden wollen und zur IKEA-Einrichtung, da wollen die Mitglieder der Oracles musikalische Abenteuer wagen, obschon sie auf dieser Platte eher ihre Helden zitieren. Aber Oracles-Drummer Niklas Wandt war früher als Pornorapper Illoyal unterwegs – AnnenMayKantereit haben indes den Förderpreis der Kreissparkasse gewonnen. Gitarrist Nils Herzogenrath nennt sich auf Solopfaden Vomit Heat und ist mit Drones und Harsh-Noise bewaffnet – AnnenMayKantereit bieten unverzerrtes, eindimensionales Gedudel für die Grillabende biodeutscher BWL-Biedermeier. Keyboarderin Hanitra Wagner stellt mit Die Heiterkeit große Fragen nach Pop und Tod – AnnenMayKantereit begeistern Abiturienten mit Plattitüden und inhaltsleerem Geschwätz. Die selbstoptimierten, hochgradig verwertungsfähigen Schwiegersöhne aus Köln erreichen mit Ach und Krach das Schnulzenniveau Reinhard Meys, nur um im nächsten Moment wieder in einen beliebigen Schlagerbeat abzuschunkeln und lassen sich dafür von der Universal Music Group vergüten. Die Oracles hingegen haben sich lieber mit dem kleinen Label This Charming Man zusammengetan, auf dem geiles Zeug wie Karies oder Die Nerven erscheint. Wen kümmert der deutsche Mainstream, wenn sie oder er sich grade in den entspannten Tiefen der Bedroom Eyes verliert?

Der Hype läuft allerdings nur langsam an. Festival-Gigs für den Sommer sind überraschenderweise noch nicht angekündigt. Trotzdem gut möglich dass internationale Begeisterungsstürme die Oracles auf ausgedehnten Tourneen aus der deutschen Tristesse herausspülen werden – ich gönne es ihnen von Herzen.

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Von Veröffentlicht am: 16.05.2016Zuletzt bearbeitet: 01.02.2019643 WörterLesedauer 3,2 MinAnsichten: 825Kategorien: Alben, KritikenSchlagwörter: , , , 0 Kommentare on Oracles – Bedroom Eyes
Von |Veröffentlicht am: 16.05.2016|Zuletzt bearbeitet: 01.02.2019|643 Wörter|Lesedauer 3,2 Min|Ansichten: 825|Kategorien: Alben, Kritiken|Schlagwörter: , , , |0 Kommentare on Oracles – Bedroom Eyes|

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Über den Autor: Marc Michael Mays

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