Lirr – God’s On Our Side; Welcome To The Jungle
LP kaufen Vö: 08.09.2017 Grand Hotel van CleefSchizophrener, unwahrscheinlich vielfältiger Posthardcore der alle Konventionen demontiert.
Siehe da, ein Neuzugang beim Grand Hotel van Cleef! Im Heimathafen der hochkarätigsten Indiebands des Landes hat eine mir bisher vollkommen unbekannte Band (Anm d. Red. – Rituals) namens Lirr angelegt und sorgt sogar hier auf dem hügeligen Festland für eine steife Brise. So, Schluss jetzt mit albernen, maritimen Wortspielen und zurück zum wesentlichen: dem facettenreichsten Posthardcore-Album der letzten Zeit. Die Flensburger hauen in nur 28 Minuten zehn kurze, aber unwahrscheinlich vielschichtige und abwechslungsreiche Songs raus, verzichten dabei eigentlich völlig auf einen roten Faden, schaffen es aber trotzdem, alle Stücke in eine homogene Form zu gießen.
Der Opener „This House Is Clean, Baby (This House Is Clean)“ ist pures, dissonantes Chaos. Erst rollt ein fieser, knarzender Bass an, bis ein derber, kratzender Gitarrensound aufspringt. Nachdem sich über allen fuzzigen Lärm belebende Grooves und eigentlich unpassend angenehmer Gesang gelegt haben, geht zum ersten Mal das superdurchdringende Hardcoregeschrei los. In einer guten Minute wird hier so schon unverhohlen Feuer gelegt, dass man eigentlich mit einem Großbrand rechnen müsste. Allerdings wäre das viel zu einfach. „Jungle Pt. 1“ beschwichtigt mit unverzerrten Tönen und geilen, galoppierenden Drums, es wird wieder geschrien. Es klingt schon deutlich nach frühen La Dispute, aber das macht natürlich überhaupt nix. Schöne Melodien zerschellen an fetten Soundwänden, bis wieder ein ruhiger Emorockpart mit völlig unbeschönigtem und somit einfach echt und ehrlich klingendem Cleangesang einsetzt. Der zweite Teil des Dschungels ergießt sich wieder in herbem Krach. Obwohl das alles schon verdammt wütend klingt, glätten feine, flirrende Postrockgitarren stetig die Wogen. Klassische Posthardcoreparts mit ständigen Rhythmuswechseln seitens des Schlagzeugs münden in völlig abgedrehte Wahwah-Sounds und vielschichtigen, sich selbst überlagernden Gitarren und enden in einem wohlig-noisigen Soundbrei.
„Sour Pt. 1“ wagt den Sprung in die Popmusik. Keyboards und überraschender, teils falsettartiger Gesang lassen hier sicherlich die Münder offen stehen. Der poppige Beat bleibt bis zu „Sour Pt. 2“ bestehen, lässt aber wieder mehr Gitarren in den Raum. Die Zerre wird wieder etwas derber, dafür bringt eine Trompete und entsprechender Gesang eine gewisse Jazznote ins Spiel. Dann platzt die Naht und einige plötzliche Ausbrüche in Emocore-Gefilde schmeissen wieder alles durcheinander. Aber es passt, verdammt, es passt einfach alles zusammen.
Gibt es so etwas wie Posthardcore-TripHop? „Grow“ könnte der Wegbereiter dafür sein. Irgendwo zwischen Ambiensounds und supertiefen Post-Punk Gitarren mit wirklich schrägen Soloduetten herrscht schnell wieder Dissonanz. Zwischendurch läuft auf einmal ein anderer Song. Ein Song im Song quasi. Absolut irre. Der kleine Sonnenschein „mtv“ kommt unschuldig wie ein morgendlicher Tautropfen daher und klingt wie in lichter Moment von The Cure. Durch das ganze Stück zieht sich eine Bottleneck-Gitarrenspur und ein Höchstmaß an Erheiterung. „Down“ springt mit Cali-Punk-Uptempodrums fast davon. Inmitten des brachialen Krachs der Gitarren setzt wieder feiner Cleangesang ein und klingt wie durch das andere Ende eines Telefons aufgenommen. Mit einer Temporeduktion stellen sich bald auch wieder die perfekt passenden Shouts ein, bis irgendwann schiefe Soulakkorde erneut zu Verwunderung führen. „Chicago Pt. 1“ und „Pt. 2“ sind wieder vollends von Noise und Emocore geprägt und bringen die wirklich wandelbare Stimme des Sängers zum Ende noch mal ordentlich zur Geltung. Bevor es zu profan wird, durchziehen Töne eines Instruments, das ich als Querflöten-Posaunen-Hybrid identifizieren würde, durch das Stück. Abgefahren, gleich noch mal das Ganze…
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